Andy Warhol zählte für mich zu den Großen in der Kunst, seit ich in den Sechzigerjahren in New York gelebt hatte. Ich erinnere mich bis heute gut an den Tag des Attentats auf ihn, im Juni 1968. Die Täterin kam in die Psychiatrie, Warhol überlebte knapp und wurde erst zwei Monate später aus dem Krankenhaus entlassen. Danach wurden seine Bilder noch teurer – was ihn zweifellos befriedigte. Aber für den Rest seines Lebens wurde er Ängste und Schmerzen nicht mehr los. Einem Freund soll er gestanden haben: „Ich habe große Angst davor, glücklich zu sein, weil es ja doch nie hält.“ Er soll sich auch als körperlich nicht liebenswert empfunden haben. Dabei wären viele seiner Freunde und Verehrer für ihn gestorben.
Beuys’ Kunst – der VW-Bus mit den Schlitten hintendran, die ganzen Fettecken und Filzrollen – berührten mich offen gestanden wenig. Aber ich bewundere ihn sehr für seinen Mut, seine Konsequenz, sein Rebellentum und auch seine Frechheit. Sich mit der Ambulanz zum Flughafen fahren zu lassen, nach New York zu fliegen und sich dort drei Tage und Nächte mit einem Kojoten einsperren zu lassen, und die ganze Welt erlebt das mit – das fand ich eine sagenhafte Inszenierung.
Unmittelbar nach meinen Porträtterminen bei Beuys und Warhol begann ich, meine Silbergelatineprints zu transformieren: Ich übermalte sie, bearbeitete sie chemisch in der Dunkelkammer, zerschnipselte und collagierte sie. Das war meine Art, die Begegnung mit diesen zwei Weltkünstlern zu verarbeiten.
Beuys predigte Bedürfnislosigkeit und verdammte den Fetisch Geld. Für Warhol war der kommerzielle Wert seiner Arbeiten von der Kunst nicht zu trennen: „Ich begann als kommerzieller Künstler und ich möchte als Business-Künstler enden“, soll er mal gesagt haben.
Einige Monate später besuchte ich Andy Warhol in seiner Factory in New York und brachte ihm einige meiner übermalten Porträts. Er war begeistert. Sein erster Kommentar war: „You got to sell them!“ Dann rief er bei seiner Galerie, Sonnabend, an, um für mich einen Termin dort zu machen.
Beuys und Warhol haben jeder auf seine Weise den Kunstbegriff revolutioniert. Beuys mit seinem Konzept der „sozialen Plastik“ und der Idee, jeder Mensch sei Künstler. Warhol, indem er mit den Mitteln der Pop-Art jeden und alles „kunstfähig“ machte – vom Dollarschein über den Diktator Mao bis zum tödlichen Verkehrsunfall – „all ist pretty“. Dahinter steht der gleiche Absolutheitsanspruch. Beide balancierten oft genug am Rand zur Clownerie. Aber es ist diese Radikalität, die sie zu wirklichen Weltkünstlern macht.
Offenbar schätzten sie einander. Warhol schuf Beuys-Porträts mit Diamantenstaub. Und als Beuys einmal nach seiner Meinung über Warhol gefragt wurde, soll er geantwortet haben, er liebe ihn zu sehr, um ihn zu analysieren.
Ich denke, wir alle sitzen im selben Boot und sind liebesbedürftig. Am Anfang und am Ende sind wir alle gleich. Aber was wissen wir schon über Beuys und Warhol?
Auszug aus Walter Schels: Andy Warhol – Joseph Beuys
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